«Es ist ein perfider Angriff auf die Gleichstellung und Gleichberechtigung», sagt Mattea Meyer am Telefon. Der Ärger der SP-Co-Präsidentin richtet sich auf einen Entscheid der Kommission für Soziale Sicherheit des Nationalrates.
Die Kommission hat sich für die Einführung einer Elternzeit ausgesprochen. Allerdings nur im Rahmen einer sogenannten «Flexibilisierung». Die aktuell geltende bezahlte Abwesenheit – 14 Wochen für die Mutter, 2 Wochen für den Vater oder den anderen Elternteil – soll nicht ausgedehnt werden.
Das heisst konkret: Die total 16 Wochen können zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden. Würde der Vater beispielsweise einen Monat Vaterschaftsurlaub beziehen wollen, müsste die Mutter auf zwei ihrer 14 Wochen Mutterschutz verzichten. Oder der Vater verzichtet ganz auf seinen Urlaub und überträgt seine zwei Wochen an die Mutter.
Die Paare könnten das frei bestimmen. Mindestens acht Wochen für die Mutter sollen jedoch Pflicht sein. Dies entspricht dem heutigen Arbeitsverbot zum gesundheitlichen Schutz der Mütter.
Die Idee für diese «flexibilisierte Elternzeit» kommt von der FDP. Mit 15 zu 9 Stimmen sprach sich die Kommission für Soziale Sicherheit des Nationalrates deutlich dafür aus.
16 der 25 Kommissionsmitglieder gehören der SVP, FDP oder Mitte an. Die restlichen neun Mitglieder stammen aus dem Lager der SP, Grünen oder Grünliberalen. Es ist davon auszugehen, dass SVP und Mitte den Vorschlag der FDP geschlossen unterstützt haben. Stimmen aus der Kommission sagen denn auch, beim Abstimmungsverhalten habe es keine Überraschungen gegeben.
Meyer stört sich vor allem daran, dass durch die Flexibilisierung der Elternzeit den Frauen die Verantwortung für die Gleichstellung zugeschoben werde.
Bereits die heutige Regelung mit 14 Wochen Mutterschutz und zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sei zu wenig, um die Gleichstellung zu gewährleisten. «Das reicht niemals aus, damit endlich auch die Väter in der ersten Phase nach der Geburt Verantwortung übernehmen können. Oder damit die Mutter auf dem Arbeitsmarkt nicht diskriminiert wird, weil sie 14 Wochen fehlt und der Vater nur zwei.»
Mit Blick auf eine mögliche Flexibilisierung sagt Meyer:
Auch Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone ist erzürnt über den Entscheid der Kommission. Gegenüber CH Media sagte sie: «Das ist ein schwerer Angriff auf die Gesundheit von Mutter und Kind und ein skandalöser Rückschritt.»
Gerne hätte watson mit einigen bürgerlichen oder Mitte-Mitgliedern der Kommission über ihre Unterstützung für die Flexibilisierung der Elternzeit gesprochen. Die angefragten Volksvertreter, die für den Vorschlag gestimmt haben müssen, wollten sich jedoch nicht zum Thema äussern («Da müsste ich zuerst wieder meine Unterlagen hervorholen»). Oder sie verweisen auf ihre Wortführerinnen. Bei der SVP ist das Nationalrätin Diana Gutjahr, bei der FDP wird watson an Nationalrätin Kris Vietze weitergeleitet.
Gutjahr, die bereits Anführerin des Referendumskomitees gegen den Vaterschaftsurlaub war, unterstützt die Flexibilisierung. Sie sagt: «Eine Familie soll selbst entscheiden können, wie sie die bezahlte Elternzeit von den gesetzlich festgelegten 16 Wochen aufteilen möchte.»
Auch FDP-Nationalrätin Kris Vietze sagt: «Jedes Paar hat individuelle Bedürfnisse. Dem möchten wir mit der Flexibilisierung der Elternzeit Rechnung tragen.»
Das Argument, dass Väter nur mehr bezahlte Zeit mit ihrem neugeborenen Kind verbringen können, wenn die Mutter auf einen Teil ihres Mutterschutzes verzichtet, mag Gutjahr nicht gelten lassen:
Was für viele Bürgerliche im Parlament kein Thema ist, will ein Komitee aus Grünen, Grünliberalen, SP, Mitte-Frauen, dem Frauendachverband Alliance F und der Gewerkschaft Travailsuisse an der Urne erreichen: einen Ausbau von Mutter- und Vaterschaftsurlaub. Aktuell läuft die Unterschriftensammlung für die Familienzeit-Initiative. Diese fordert für Mutter und Vater je 18 Wochen bezahlte Elternzeit.
Ein Ausbau des bezahlten Mutter- und Vaterschaftsurlaubs kommt für Gutjahr «nicht infrage». Sie sagt dazu: «Ich spüre in linken Kreisen, dass man je länger je mehr auf nichts mehr verzichten möchte. Doch eine Familie zu gründen, ist genau das: Verzicht. In jeglicher Hinsicht, insbesondere für eine gewisse Dauer. Ich bin dagegen, dass man den Sozialstaat auf Kosten der Bürger immer weiter ausbaut.»
Zumal es, so Gutjahr, heute fast keine Betriebe mehr gebe, die Müttern und Vätern bei der Geburt eines Kindes nicht unbezahlten Urlaub gewähren würden.
Vietze wiederum verweist im Hinblick auf die Familienzeit-Initiative auf die fragile wirtschaftliche Ausgangslage der Schweiz. «Wir stehen in Zollverhandlungen mit den USA, die 13. AHV-Rente ist noch nicht finanziert, um den Bundeshaushalt stand es auch schon besser, das gilt es alles zu berücksichtigen.»
Gemäss einer Studie würde die Elternzeit von 18 Wochen pro Elternteil im Jahr rund eine Milliarde Franken kosten. Die Initiantinnen und Initianten wollen die Elternzeit – wie den jetzigen Mutter- und Vaterschaftsurlaub – aus der Erwerbsersatzordnung (EO) finanzieren. Dies bedarf einer Erhöhung der Lohnbeiträge um 0.25 Prozentpunkte auf 0.75 Prozent.
Der Bezug der Elternzeit müsste gemäss Initianten nacheinander erfolgen, höchstens ein Viertel könnten Paare gleichzeitig beziehen. Auf den Partner oder die Partnerin übertragbar wäre die Elternzeit nicht.
Zur bürgerlichen Kritik an den Kosten sagt Meyer: «Wenn Männer Wehrdienst leisten, ist das auch nicht gratis. Geht es jedoch darum, die Kleinsten unserer Gesellschaft zu betreuen, ist es plötzlich ein wirtschaftliches Problem.»
Eine bezahlte paritätische Elternzeit koste etwas, sei aber tragbar, so Meyer. Und sie fördere den Wiedereinstieg in den Beruf, was zusätzliche Steuereinnahmen generiere und dem Fachkräftemangel entgegenwirke. Meyer betont:
Dem stimmte GLP-Präsident Jürg Grossen gegenüber SRF ebenfalls zu: «Die Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen werden mittelfristig die Ausgaben übersteigen.»
Die Befürworterinnen und Befürworter der Familienzeit-Initiative führen auch gesundheitliche Argumente an. Meyer sagt: «Es gibt Mütter, die aus gesundheitlichen Gründen selbst nach 14 Wochen noch nicht wieder arbeiten können. Der Schutz von Müttern mit neugeborenen Kindern darf nicht infrage gestellt werden.»
Dass es schwierige Geburten gebe, Komplikationen, Mütter, die nach 14 Wochen aus physischen oder psychischen Gründen nicht im Stand seien, wieder zu arbeiten, ist Gutjahr bewusst. In diesen Fällen bringe eine bezahlte Elternzeit, von der auch die Väter profitierten, jedoch nichts. Gutjahr ist überzeugt:
Die gegenseitige Unterstützung insbesondere für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei eine Lebensaufgabe und könne nicht einfach auf wenige Wochen am Anfang beschränkt werden, wie es die Befürworter darstellten.
Deswegen sei sie auch gegen den Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen gewesen. «Ich habe Väter in meinem Umfeld, die sagten: Ich kann zuhause ohnehin nicht viel beitragen, ich gehe mit den Kollegen auf eine Töfftour.» Es gebe auch Väter, die nicht mehr bei der Kindsmutter lebten und diesen Urlaub auch einfach zugesprochen bekämen.
Gutjahr argumentiert zudem, dass es nicht nur schwierige Geburten gebe, sondern auch viele Frauen, die nach wenigen Wochen wieder «auf dem Damm» seien. Und sie ergänzt: «Man kann nicht immer vom Extremfall ausgehen. Wir machen Politik nicht für Einzelfälle.»
Der Vorstoss für die Flexibilisierung der Elternzeit basiert auf zwei Standesinitiativen aus den Kantonen Genf und Jura, welche eine Elternzeit fordern. Die Kommission für Soziale Sicherheit des Nationalrats (SGK-N) hat beide Initiativen gutgeheissen.
Die beiden SGK von National- und Ständerat haben nun zwei Jahre Zeit, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Über diesen entscheidet dann das Parlament.
Vor zwei Jahren hat die Stimmbevölkerung des Kantons Genf eine Elternzeit von 24 Wochen an der Urne angenommen. Zustande gekommen ist sie jedoch nie, gemäss Bundesrat seien solche kantonalen Einzelgänge nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Das könnte sich ändern. Gemäss SGK-N sollen Kantone die Kompetenz haben, «grosszügigere Lösungen» einzuführen.
Was keinen Sinn macht: eine Elternzeitregelung die vorschreibt, dass nur ein Teil überlappend sein darf. Das sollten die Eltern entscheiden, nicht der Staat. Denn alle Lebenssituationen sind anders.
Meine eigene Erfahrung und auch Fälle in meinem Umfeld haben aber gezeigt, dass mehr nötig sein kann:
- meine Frau hatte wegen Geburt eine Entzündung und war 2 Wochen mit Fieber im Bett, folglich war sie froh, konnte ich meine Vaterzeit ausdehnen.
- 2 Kolleginnen von mir hatten psychische Folgen nach der Geburt (kommt sehr häufig vor!) und brauchten auch länger Unterstützung.
Ich könnte noch viele andere Fälle aufzählen, die zeigen, das unser Modell veraltet ist und frühere Generationen totschwiegen!